Manchen von uns sitzt die Zeit im Nacken. So ziemlich immer, so dass sie krank werden. Sie hecheln den Stunden hinterher. Beruf, Ehrenamt, Familie, Freunde. Zeit wird nur noch als eines wahrgenommen: Als Mangel. Andere wiederum haben so viel Zeit, dass sie ihnen zur Last wird. Sie finden keine Arbeit. Sie dürfen nicht arbeiten, sie sehen gar keinen Anreiz zur Arbeit oder sie können nichts mehr tun, weil sie krank sind und alt. Für sie schleichen die Stunden wie Schnecken und ziehen eine Spur hinter sich her. Aus Traurigkeit, Bitterkeit, trüben Gedanken, denen oft nicht die allerbesten Taten folgen, und nicht zuletzt dem Gefühl, verlassen und vergessen zu sein.
Manchen von uns verursacht schon der Gedanke Zeit zu haben in der nichts geplant oder vorgegeben ist, Unbehagen. Bei der Familie meiner Mutter war im Krieg ein französischer Gefangener, der im Betrieb mitarbeitete. Er wurde tatsächlich ein zuverlässiger, treuer Freund obwohl er offiziell ein Feind zu sein hatte, und er ging nach dem Ende des Krieges nicht sofort Nachhause. Allerdings war er vor Unrast wohl oft kaum auszuhalten und muss meine Großmutter mit immer derselben Fragen fast zur Verzweiflung gebracht haben. “Was machen wir jetzt”? So ging das vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Seine Betriebsamkeit hat ihn abgehalten vom Nachdenken über seine Lage, vor den ungelösten Fragen in seinem ganz persönlichen Leben, vor Angst und Unsicherheit. Ich vermute sehr, dass es auch heute mehr Menschen gibt als wir glauben, denen Zeit haben Angst macht. Und der Zeit-Geist? Der kann mal förderlicher und mal destruktiver sein. Allgemein betrachtet hat er bei uns keinen allzu guten Ruf, vielleicht gerade weil er so wechselhaft ist und unbeständig. Mit der Zeit als solcher hat der Zeit-Geist auch gar nicht viel zu tun. Viel eher damit, dass der Mensch noch immer Mensch ist und sich im wesentlichen gleich geblieben, was uns heute mehr zu irritieren scheint denn je, weil wir doch aus der Geschichte gelernt haben wollen. Hm.
C.S. Lewis, der unter vielem anderen die wunderbaren Chroniken von Narnia geschrieben hat, verfasste auch ein Werk über den Schmerz. Der Schmerz sagte er, ist das, was uns Menschen verbindet. Da ist absolut was dran. Aber es verbindet uns noch etwas. Das ist die Zeit.
Zeit kann man nehmen. Zeit kann man verschleudern. Zeit kann man so herrlich vertrödeln und sie kann einem so sehr fehlen, dass es weh tut. Ich kenne alles davon. Sie vermutlich auch. Zeit ist gar nicht so einfach. Etwas sagen dürfen braucht Zeit. Zuhören auch. Ein gutes Essen kochen braucht Zeit. Es genießen ebenso. Ein gutes Buch lesen braucht Zeit. Es wirken lassen auch. Leben braucht Zeit: Zum Fragen. Zum Suchen. Zum Nachdenken. Zum In-den-Himmel gucken. Lieben braucht Zeit. Lieben lassen auch. Ich habe die gleiche Anzahl Stunden täglich wie Sie. Daran ist nicht zu rütteln. Ich habe Zeit. Sie haben Zeit. Wir wissen nur keine Sekunde lang wie viel noch. Einzig Ewigkeit hat keine Zeit. Ich wünsche sie Ihnen, schon hier.
Elisabeth Eberle